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Wenn der Muezzin ruft

Hin und wieder werde ich so gegen 4 Uhr morgens wach, stehe auf, koche mir einen Kaffee und setzte mich auf unsere Veranda. Ich liebe diese Atmosphäre, leichter Nebel, die Luft ist angenehm kühl, noch sind keine Menschen auf unserer Straße unterwegs, nur ein paar Hunde stromern herum. Mit einem Kaffee und einer Zigarette lässt es sich wunderbar in dieser sehr friedlichen Stimmung träumen. Punkt vier Uhr beginnt der Muezzin von der nahen Moschee zu rufen. Er ruft fünfmal am Tag, aber zu dieser frühen Stunde höre ich ihn besonders gut.“ Allahu akbar “ „Gott ist groß“ damit ruft er die Muslime zum Gebet, also auch mich.  Hin und wieder gelingt es mir, mich auf ein Gebet zu konzentrieren, die morgendliche Atmosphäre ist inspirierend,  es ist nach wie vor meine Art des Gebetes.                                                    Sonntags wenn wir beim Frühstück sitzen und die Tür zur Veranda weit aufsteht, können wir die Musik der nahen Kirche hören, laut und fröhlich klingt es, so als ob jemand eine große Party feiert. Manchmal denke ich, dass es lustig wäre einfach mit zu feiern. Irgendwann  mischt sich der Muezzin zu seinem zweiten Gebet ein.  Ein buntes Kauderwelsch.                                                                                                                              Auf der Straße stehen Frauen zu einem Plausch zusammen, einige tragen das muslimische Kopftuch eher locker gebunden, einige sind verschleiert und manche Frauen tragen nur ihre Haare als Kopfschmuck. Es ist ein farbenfrohes Bild und keiner kommt hier auf die Idee, eine Kopftuchdebatte anzuzetteln. Das gleiche gilt übrigens für die Männer, Muslime und Christen stehen zusammen und debattieren über die Probleme des Alltags oder sie haben einfach Spaß zusammen. Es gibt sicherlich viele Streitpunkte in unserem Viertel, über die richtige Religion wird nicht gestritten, jedenfalls nicht verbissen, in diesem Punkt herrscht Freiheit.  Es wird auch nicht darüber gestritten, welche der beiden Religionen sich zu laut zu Wort meldet,  ob eine Kirche oder Moschee das Stadtbild negativ beeinflusst, ist nicht wichtig.   Unsere direkte Nachbarin ist strenge Muslimin und die dritte Frau ihres Mannes. Das stört hier niemanden. Ob sie freiwillig geheiratet hat oder nicht, kann ich nicht sagen. Sie macht jedenfalls keinen unglücklichen Eindruck. Hin und wieder wird sie von der „ersten Frau“ besucht, eine sehr selbstsichere Frau die viel und gerne lacht.                                                                                                                                                                                    Neulich hat mir Sadat eine Politikerin übersetzt, die sich in einem Statement dafür eingesetzt hat, das doch mehr Männer, mehrere Frauen heiraten sollten.( Um Missverständnissen vorzubeugen, ich bin keine Verfechterin der Polygamie )                                                                                In einer Radiosendung hat  ein Imam lange und scheinbar leidenschaftlich über die Rechte der Frauen referiert und darauf hingewiesen, dass Frauen mit großem Respekt zu begegnen wäre.                                                                                                                                                                            Bei unserer Hochzeit, hat der Imam Sadat lange auf seine Pflichten als Ehemann hingewiesen und das der Mann für den Seelenfrieden seiner Frau verantwortlich ist. Mich hat er nicht belehrt.                                                                                                                                                                        Es wird auch hier Männer geben, die von ihren Frauen verlangen nur verschleiert in die Öffentlichkeit zu gehen.                                                  Kleine Beispiele, die zeigen  wie vielfältig eine Religion interpretiert und gelebt werden kann.                                                                                          Warum erzähle ich Euch das alles?                                                                                                                                                                                                    Wenn man aus einem Land wie Deutschland kommt, in dem Teile der Gesellschaft immer mehr dazu neigen, eine Religion bzw. die Anhänger unter Generalverdacht zu stellen, sich einer terroristischen Gruppe anzuschließen und darüber zu diskutieren ob eine Religion zu einem Land gehört oder nicht, ist es erfrischend zu beobachten wie gut das Zusammenleben unter den zwei großen Weltreligionen klappt und das ganz ohne unnötige Diskussionen.  Sicherlich stellt sich uns der Islam oft als frauenfeindlich dar und es gibt viele muslimisch geprägte Gesellschaften in denen  Menschenrechte nicht viel oder gar nicht gelten. Aber wird nicht in vielen Ländern oder Gesellschaften die Religion als Machtinstrument missbraucht? Die Muslime die ich kenne, lehnen alle den IS oder sonstige Gruppen leidenschaftlich ab.  Vielleicht sollten wir genauer hinschauen und mehr differenzieren.

Bei meiner Konvertierung war es dem Imam wichtig zu wissen, ob ich freiwillig zum Islam übertrete und ob ich nur an einen Gott glaube. In dem Gespräch ging es nicht darum, aus Gott Allah zu machen. Gott ist Gott, da waren wir uns einig. Die Art zu beten, also quasi eine neue Sprache zu erlernen stand dabei nicht im Vordergrund. Zum Abschluss wollte er gerne wissen, ob ich mit den Schwierigkeiten die meine Konvertierung mit sich bringen könnte, umgehen kann, ich hoffe es. Keiner verlangt von mir meine christlich geprägten Wurzeln zu verleugnen, keiner verlangt von mir, ein anderer Mensch zu werden. Ich muss nicht mal ein Kopftuch tragen, es sei denn ich besuche eine Moschee. Vielleicht wird von mir nur verlangt ein guter Mensch zu sein, dass allein ist ja schon schwer genug.  Ich erwarte nicht unbedingt, dass dieser Schritt verstanden wird, dass ich mit meiner Konvertierung in eine diffuse Ecke gestellt werde finde ich schade. Hier hat mich übrigens noch keiner gefragt, warum ich zum Islam übergetreten bin. Warum? Als Geschenk an meinen Mann, der das nie eingefordert hat, aus Respekt vor seiner Familie.                                                                                                                                                                                                          Ich glaube nicht, dass der Islam einen anderen Menschen aus mir macht. Vielleicht denke ich, angeregt durch fröhliche Religionsdiskussionen mit meinem Mann ein bisschen intensiver über Glaubens- und Lebensfragen nach. Der findet im Übrigen auch, dass es einfach Spaß macht über diese Dinge zu diskutieren.

 

 

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Kommentare: 3
  • #1

    EG BAM (Donnerstag, 12 April 2018 23:01)

    Liebe Elske, wieder ein sehr interessanter Bericht von dir. Du zeigst uns auch, welche
    nicht einfachen Entscheidungen für deinen neuen Weg wichtig waren, die sehr gut
    überlegt werden müssen. Aber das Wichtigste ist die Einstellung deines Mannes, der
    sehr liberal zu sein scheint.
    Ich wünsche dir und deiner neuen Familie weiterhin alles Gute.
    Liebe Grüße von
    ELKE

  • #2

    Ulla Holbein und Bolle (Freitag, 13 April 2018 15:42)

    Liebe Elske,

    es beeindruckt mich sehr, was du hier schreibst!...
    Ich lese das alles nun schon zum zweiten Mal!...
    Ob ich den Mut besitzen würde, ich weiß es nicht!...
    Ich denke aber, du hast dir alles zigmal überlegt und auch mit deinem Mann ausdiskutiert,
    um dann zum Islam zu konvertieren.
    Finde es schon bewundernswert, wenn du schreibst: "als Geschenk an deinen Mann und aus Respekt vor seiner Familie!"... Das ist schon allerhand und ein riesiges Geschenk!...
    Dir/euch wünsche ich weiterhin alles Gute, auf dass du in "zig Jahren" noch genauso denkst und alles auch noch einmal ganz genauso so machen würdest, denn dann ist/war der Schritt genau richtig!...
    Wir wünschen dir/euch ein schönes Wochenende mit lieben Grüßen vom BOlleteam :)
    PS. Übriges die beigefügten Fotos sind wunderschön!... Die Kleidung steht dir ausgezeichnet! :)
    Ich hab allerdings das Gefühl, du hast abgenommen!....???

  • #3

    Ulli Drews (Dienstag, 31 Juli 2018 10:02)

    Liebe Elske,
    ich, der "Himmelsstürmer" in der FC, habe deine Zeilen zum Thema "Wenn der Muezzin ruft" mit großem Interesse durchgelesen und bin sehr beeindruckt. Zum Thema Konvertierung habe ich auch meine ureigenen Erfahrungen in meinem leben gemacht. Dazu später vielleicht an anderer Stelle mehr. Die Einstellung deines Mannes zum Thema Religion finde ich bewundernswert, auch, dass du es zu konvertieren aus Liebe zu ihm und aus Respekt vor seiner Familie getan hast. Ich wünsche Euch eine glückliche, sehr erfüllte u. möglichst lebenslange Beziehung miteinander.
    Ganz herzl. Grüße von mir!!!
    Ulli