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Das erste Jahr


Es ist verrückt, wie schnell ein Jahr vorbeigehen kann.                                                                                                                                                           Vor einem Jahr habe ich auf gepackten Koffern gesessen und meinen Flug nach Tansania herbei gesehnt, die Tage zogen sich wie ein Gummiband dahin, ich war mega nervös und mein Adrenalinspiegel war tagelang am Limit.

Jetzt, ein Jahr später sitze ich entspannt auf unsere Veranda, genieße die warme Sommerluft und lasse das Jahr Revue passieren.                  Sadat und ich sind uns einig, wir haben viel geschafft in diesem Jahr.

Ein intensives Jahr geht vor rüber, 365 Tage voll mit neuen Erfahrungen, von denen ich mir viele vorab nicht erträumt hätte. Es gab urkomische Situationen, ernste Anlässe, traurige Momente, ich habe  nicht einen Tag bereut hier zu sein.

 In Deutschland verlief mein Leben in ruhigen, vertrauten Bahnen, vieles ließ sich voraussehen, eine gute Routine.                                               Ich hatte mich, nachdem mein zweiter Mann verstorben war auf ein Leben als Single eingestellt, auf eine neue Beziehung war ich nicht aus. Dann traf ich Sadat und als ob es die natürlichste Sache der Welt wäre, beschlossen wir, uns ein gemeinsames Leben hier in Tansania aufzubauen. Deutschland stand immer nur kurzfristig zur Debatte. Wir ließen uns mit unserer Entscheidung nur sehr wenig Zeit, es war ein Sprung ins eiskalte Wasser. Ich war gegen alle Widerstände und auch Anfeindungen, fest davon überzeugt, diesen Schritt zu wagen.              Mit 56 Jahren kann man nicht mehr sagen“ Morgen vielleicht“.

Sadat hatte einige Ängste, ob ich mit den Gegebenheiten, angefangen bei den Sanitären Einrichtungen, Essen, Kindern, Sprache usw. klar kommen würde. In der ersten Zeit hat er versucht mich in Watte zu packen und mich oft besorgt angeschaut.

 

Natürlich hätte ich das Jahr, ohne seine liebevolle Unterstützung, kaum so gut gemeistert. Auch heute noch, gibt er mir in vielen ungewohnten Situationen ein sicheres Gefühl. Obwohl er so viel jünger ist,  fühle ich mich bei ihm geborgen.                                                                                    Es ist kaum zu glauben, wir haben in diesem Jahr nicht einmal gestritten, was nicht heißt, dass wir uns immer sofort einig sind, faule Kompromisse mussten wir noch nicht schließen. 

Wenn ich zu Beginn des Jahres Arusha als undurchdringliches Chaos erlebt habe und ständig die Orientierung verloren habe, lichtet sich jetzt das Chaos und ich weiß in etwa wo ich hin will.                                                                                                                                                                  Anfang des Jahres empfand ich einen Einkauf alleine, schon als kleine Herausforderung. Mittlerweile kenne ich einige Händler und weiß wo ich was einkaufen kann, nur noch sehr selten habe ich das Gefühl, zu viel  bezahlt zu haben.

 Vor ein paar Tagen stand ich an einem Stand, an dem Obst verkauft wird, als mich jemand von hinten vorsichtig antippte, als ich mich umdrehte erkannte ich die Frau, bei der ich meist Kartoffeln kaufte, sie nahm mich so herzlich in den Arm und lachte mich so fröhlich mit den Worten an:“ Schwester, brauchst du heute keine Kartoffeln“, dass mir ganz warm ums Herz wurde.                                                                 Manche Dinge erledigt Sadat allerdings nach wie vor alleine, damit wie keinen Mzunguaufschlag bezahlen müssen.

 

In den ersten Monaten waren wir noch sehr mit bürokratischen Hürden beschäftigt die  doch oft an unseren den Nerven zerrten, selbst für Tansanier sind diese Hürden nicht so ohne weiteres zu verstehen. Unsere Hochzeit hätte vielleicht ein wenig romantischer ausfallen können, aber wir waren einfach froh auch diese Hürde überwunden zu haben. Unsere Eheringe haben wir in Deutschland Monate später erworben und das auch eher unromantisch.

War Sadat in dieser ersten Zeit, mit Touristen unterwegs, stellten sich oft Kleinigkeiten als Problem dar, wie bekomme ich eine neue Gasflasche, wann muss ich an wen Strom bezahlen, wo gehe ich hin wenn wir gar kein Wasser mehr haben, einige Male musste Happy mir aus der Patsche helfen. Den Haushalt musste ich erstmal ohne Waschmaschine organisieren, nicht so leicht, wenn man mindestens einen Tag in der Woche mit Wäsche waschen verbringen muss. Die Kinder, ohne Strom im dunklen für die Schule fertig zu machen war da noch die leichteste Übung.

Das Kinder alleine wegen meiner weißen Hautfarbe in Tränen ausbrechen oder mich unbedingt anfassen wollen, hat mich hin und wieder irritiert, aber nie aus der Fassung gebracht.                                                                                                                                                                          Nach wie vor bringt mich aber der Umgang mit Kindern aus der Fassung. Das Kinder, in aller Öffentlichkeit verprügelt werden und dies mit einer Normalität die für Europäer unvorstellbar ist, daran werde und will ich mich nicht gewöhnen. Sadat und ich waren, mehr als einmal in der Schule, um darauf zu bestehen, dass unsere Kinder nicht geschlagen werden, egal was andere Eltern dazu sagen und manche uns sogar als schlechte Eltern empfinden. Hier will ich mich nicht anpassen und ich hoffe sehr, dass wir nicht müde werden, um diese Situationen wenigstens in unserem nahen Umfeld zu verändern.

Sadats Familie kennenzulernen war auch ziemlich spannend und natürlich auch sehr aufregend. Mich als Teil dieser doch sehr großen Familie zu fühlen, ist schön, aber nicht immer so ganz einfach, Familie funktioniert hier doch ein wenig anders und auch das Rollenverständnis ist ein anderes. Als Europäerin genieße ich vielleicht einen Freiraum den die anderen Frauen in unserer Familie nicht haben oder haben wollen, es stört keinen, das Sadat oder Mmbaraka kochen oder mir beim Saubermachen helfen. Meinem Schwager, z.B.   würde das im Traum nicht einfallen.

 

Besonders schön waren in diesem Jahr natürlich unsere Reisen, bei denen ich schon einiges von Tansania kennengelernt habe und damit ein besseres Verständnis für dieses Land bekomme. Für Sadat waren die Reisen nach Deutschland sein Highlight des Jahres, für mich eindeutig unsere Safari in die Serengeti. Aber auch die Reisen nach Dar-es-Salaam waren für mich beeindrucken, wir beide sind uns allerdings einig, dass diese Stadt nichts für uns wäre, viel zu groß.

 

Die Reisen nach Deutschland haben wir natürlich auch dazu benutzt Dinge zu kaufen, die es hier so nicht gibt, oder die viel zu teuer sind. Bei beiden Besuchen habe ich mich sehr auf meinen Friseur gefreut, in den ersten Monaten haben wir hier einige Friseurshops abgeklappert, aber alle haben mich entsetzt angeschaut, keiner wollte mir die Haare schneiden. Sadat weigerte sich auch beharrlich. Vor ein paar Wochen wurde ich durch Zufall aber auch hier fündig, ein junger Mann hat sich darauf spezialisiert Europäerinnen die Haare zu schneiden und das wirklich gut. Damit war ein weiteres kleines Problem aus der Welt geschafft. Eine Zahnärztin und eine Art Hausarzt hatte ich ja schon im Frühling gefunden.

 

Auch wenn sich mein Leben, äußerlich deutlich verändert hat, glaube ich kaum, dass ich mich innerlich wesentlich verändert habe. Jedenfalls nicht viel. Was mir an meisten, an mir selbst auffällt, ich agiere hier entspannter, weniger aufgeregt. Hier kann ich kaum mit dem Kopf durch die Wand laufen. Erstens reichen meine sprachlichen Kenntnisse dazu nicht aus, zweitens kann man nicht hektisch agieren wenn alle anderen tiefenentspannt sind. Unnütze Hektik gibt es hier kaum. Nur noch sehr selten fühle ich mich unter Druck gesetzt. Ich sehe mich kaum mit einer Erwartungshaltung an mich konfrontiert, ich bin nun mal augenscheinlich anders als die Anderen, ich fühle mich hier authentischer, als ich mich  in Deutschland gefühlt habe.

Ich bin mit deutlich weniger zufrieden und schneller dankbar. Auch  in Deutschland gibt es Armut, hier kann man allerdings kaum die Augen davor verschließen, ein gutes mittelständiges Leben, bekommt einen ganz anderen Stellenwert. Ich freu mich nach wie vor, dass das Wasser jetzt meistens aus dem Hahn kommt und nur noch selten der Strom ausfällt. Ich bin wirklich dankbar dafür, wenn wir zu fünft am Tisch sitzen und alle satt werden. Meist sind wir ja auch eher sechs oder sieben, irgendwer kommt meist unangekündigt zum Essen.                                 Oder Mini und Kassim machen uns darauf aufmerksam, dass ein Freund von ihnen noch nichts zu essen hatte, jeder bekommt dann halt ein bisschen weniger. Ich hab in diesem Jahr gelernt zu teilen. Auch im Nachhinein habe ich nicht das Gefühl, früher engherzig oder geizig gewesen zu sein, bis zu einem bestimmten Punkt ist teilen hier aber einfach selbstverständlich. Das wir trotzdem manchmal nur für uns sorgen wollen, stößt  wohl ab und an auf Unverständnis, aber eine gesunde Portion Egoismus möchte ich mir bzw. uns erhalten. Sadat kann wesentlich schlechter nein sagen als ich, lernt aber durchaus von mir dazu. Insgesamt  freue ich mich aber darüber, wenn wir die kleine Welt um uns herum, in einigen Dingen ein wenig freundlicher gestaltet haben.

 

Das es nur kleine Schritte sind frustriert mich nur selten, dazu ist Tansania wie viele Länder auf der Welt zu vielschichtig und kompliziert. Ich beginne allmählich mich mit dem politischen System zu beschäftigen, Sadat und ich diskutieren oft und gerne über Politik und er versucht mir die politischen Zusammenhänge zu erklären.  Hier kann ich noch sehr viel lernen.

 

Das gilt nach wie vor auch für meine sprachlichen Fortschritte, auch wenn mich meine Männer viel und oft loben, hier muss ich deutlich mehr an mir arbeiten und meinen inneren Schweinehund überwinden, um konzentrierter zu üben. Aber wer kennt das nicht, den inneren Schweinehund zu besiegen, ist manchmal ziemlich mühsam. Der einzige der mir hier zu, hin und wieder den Kopf wäscht ist Ali, ein sehr guter Freund von Sadat, der dazu noch ziemlich gut Deutsch spricht. 

 

Meinen ersten Blogbericht, vor fast einem Jahr habe ich mit dem Satz beendet: Meine ersten Schritte sind gemacht und sie fühlen sich gut an. Dieser Satz hat immer noch Gültigkeit, es sind noch die ersten Schritte und sie fühlen sich gut an, vor allem an der Seite meines Mannes.

 

Das nächste Jahr verspricht spannend zu bleiben. Gestern haben wir ein kleines Auto gekauft und ich bin aufgeregt wie ein Teenie die ersten Kilometer gefahren, es war nicht so schlimm wie ich befürchtet hatte, aber auch hier ist üben angesagt.

 

 In ein paar Tagen ist Weihnachten, das wollen wir auf Sansibar genießen, es ist unser erster Familienurlaub mit einem meiner Söhne aus Deutschland.

 

Bevor ich diese Zeilen beende, möchte ich mich aber noch unbedingt, bei Euch, liebe Leser ganz herzlich bedanken, dass Ihr mich in diesem Jahr  begleitet habt. Es ist toll zu wissen, dass es Menschen gibt, die meinen Blog gerne verfolgen, die Anteil an meinem Leben nehmen und mir hin und wieder durch einen Kommentar oder E-Mail, Glück wünschen oder Mut machen.

 

Auch wenn es noch ein wenig früh ist, wünsche ich Euch, noch eine schöne und entspannte Weihnachtszeit, ein besinnliches und gesegnetes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr.

Eure Elske Kalolo

 

 


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Kommentare: 5
  • #1

    Veronika A. (Sonntag, 16 Dezember 2018 16:05)

    Liebe Elske,
    danke für deine Weihnachtsgrüße. Ich habe deine Erfahrungen vom ersten Jahr gelesen und bin tief beeindruckt, wie du alles schaffst. Wünsche dir eine schöne Zeit und viel Spaß auf Sansibar.
    Herzliche Grüße
    Veronika

  • #2

    Ulla Holbein (Montag, 17 Dezember 2018 10:24)

    Moin Elske,

    grad hab ich wieder mit Spannung deinen Bericht gelesen!...
    Obwohl meine Augenkrankheit mir zu schaffen macht, wenn ich die Schrift vergrößere, geht das mit dem Lesen prima! :)
    Ein Jahr schon und so schnell ist es rumgegangen, kann mich noch gut an deinen ersten Bericht erinnern.
    Und wie ich immer wieder allen Berichten entnehme, hast du alles völlig richtig gemacht.
    Das freut mich sehr für dich!
    Toll. ihr verlebt Weihnachten auf Sansibar mit einem deiner <Söhne aus Deutschland.
    Wie schön für dich/euch, bestimmt wird es ein herrliches Fest!...:)
    Ich wünsche dir/euch von Herzen weiterhin alles erdenklich Gute!
    In diesem Sinne euch allen wunderschön entspannte Festtage!
    Liebe Grüße aus dem entfernten Deutschland sendet dir Ulla

  • #3

    Rosemarie M. (Freitag, 21 Dezember 2018 10:58)

    Liebe Elske,
    es ist wunderbar, die Entwicklung in deinem neuen Leben miterleben zu dürfen. Meine Bewunderung für diesen Schritt ist dir gewiss, ich freue mich mit dir, dass es die richtige Entscheidung für dich war und du dich in deinem neuen Leben wohl fühlst. Seit Jahren verfolge ich mit großer Freude dein fotografisches Schaffen, es hat sich nichts verändert, außer den Motiven, sie sind größer und gefährlicher geworden! :-)
    Ich wünsche dir weiterhin viel Kraft zur Bewältigung der Probleme des Alltags und viel Freude an den neuen Entdeckungen. Und natürlich weiterhin viele interessante Fotomotive.
    Ein schönes Weihnachtsfest wünscht dir
    Rosemarie aus der alten Heimat

  • #4

    Diana v. Bohlen (Dienstag, 08 Januar 2019 19:55)

    liebe Elske ,

    mit großem Interesse habe ich auch diesmal Deine Zeilen gelesen und freue mich, dass Du Dich so gut eingelebt hast!

    Auch für dass neue Jahr wünsche ich Dir und Deiner Familie ganz viele wunderbare Momente!

    es grüßt herzlich aus dem kalten Deutschland

    Diana

  • #5

    Christa Regina (Mittwoch, 23 Januar 2019 14:42)

    Hallo liebe Elske
    Endlich bin ich wieder mal dazu gekommen, in Deinem Block zu lesen. Und nach wie vor bewundere ich Deinen Mut Deutschland zu verlassen um in einem ganz andern Land mit einer anderen Kultur zu leben. Wie ich gelesen hab, hast Du Deinen Entschluss bis jetzt nicht bereut und ich wünsche Dir von Herzen, dass es auch so bleibt und Du auch mit gewissen Unannehmlichkeiten weiterhin gut zurecht kommst.
    Alles, alles Liebe und Gute Dir von Christa Regina aus der FC.